Ganz ehrlich – über diesen Artikel „Brillen aus dem 3D-Drucker vor dem Durchbruch“, erschienen z.B. bei der Computerwoche, habe ich mich aus diversen Gründen schon etwas gewundert. Vielleicht hätte man jemand fragen sollen, der sich damit auskennt. Bereits seit einigen Jahren fertigen wir mehrere tausend Brillengestelle pro Monat, in verschiedenen Designs und Größen, kaum eine Brille ist mit einer anderen identisch, im SLS Lasersinterverfahren, dem professionellen 3D-Druck im industriellen Maßstab.
Kaum jemand dürfte in diesem Bereich mehr Erfahrung haben, wir können Serie von 1, d.h. Qualität eines Serienproduktes schon in der Stückzahl von 1. Wir wissen also, welche Herausforderungen zu lösen sind, wenn es um Produkte am Menschen geht, noch zudem im besonders empfindlichen Gesichtsbereich. So gilt es sicherzustellen, dass die Brillenfassung und die beiden spiegelbildlichen Bügel mit hinreichender Genauigkeit additiv gefertigt werden. Hinter den Ohren ist die Haut besonders dünn, der Brillenbügel muss also sehr glatt und angenehm zu tragen sein, organische Freiformflächen hoher Oberflächengüte sind erforderlich. Additive Fertigungsverfahren wie 3D-Druck oder Lasersintern setzen das Produkt in Schichten zusammen, deren Dicke z.B. 0,1 mm beträgt. Bei Schrägen und Rundungen erhält man also je nach Winkel oder Radius mehr oder weniger starke Treppenstufen. Je nach Orientierung des Werkstücks im Bauraum kann man dies zwar reduzieren, aber bei weitem nicht genug wie es hier erforderlich ist. Daher wird zur Oberflächenbearbeitung, wenn es auf besonders glatte Oberflächen ankommt, das Nass-Gleitschleifen eingesetzt.
Danach sind noch weitere Bearbeitungsschritte erforderlich, wie z.B. Färben, Entgraten und Putzen, Löcher nachbohren oder mit Gewindeeinsätzen versehen oder Beschichtungen zur Stabilisierung. All dies zusammengenommen, dazu die Tatsache, dass der Druck eines einzelnen Brillengestells mehrere Stunden dauert, dürfte die Fertigung einer Brille vor Ort beim Optiker mit einem 3D-Drucker sowohl aus technischen als auch aus wirtschaftlichen Gründen zumindest in absehbarer Zeit mehr als unwahrscheinlich machen. Zudem wäre es eine gewaltige Änderung des Berufsbildes des Optikers, in eine Richtung, die ich mir nicht als erstrebenswert vorstellen kann. Eine faszinierende und gleichzeitig heute durchaus schon machbare Vorstellung ist jedoch das Scannen der individuellen Kopf- und Gesichtsmaße beim Optiker und das Übermitteln des Datensatzes an einen Additiv-Dienstleister wie z.B. Kegelmann Technik. Ein paar Tage später ist dann ein individuell produziertes Gestell zeitgleich mit den parallel bestellten Gläsern beim Hersteller oder Optiker vor Ort. Hier wird dann die Brille montiert. Die Produktion eines individuellen Brillengestells ist also nicht weniger anspruchsvoll als die Produktion der Gläser – und die schleift der Optiker ja auch nicht selbst.
Stephan Kegelmann